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Wohlschmeckende Sätze

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A Stranger in Olondria

Jasper Nicolaisen liest A Stranger in Olondria von Sofia Samatar

Auf dem Klappentext dieses in Deutschland -- trotz Auszeichnung mit dem World Fantasy Award -- kaum beachteten Buches wird mit Vergleichen zu Ursula Le Guin und Gene Wolfe geworben.
In diesem Fall ist das einmal nicht zu hoch gegriffen, denn Sofia Samatars Erstlingsgroman ist tatsächlich ein Buch, wie es in der Fantasy, ach was, in der Literatur, nur alle Jahre, Jahrzehnte einmal vorkommt.

Was dort erzählt wird, klingt zunächst wenig spektakulär: Der Ich-Erzähler erbt nach dem Tod seines despotischen Vaters einen florierenden Gewürzhandel und reist geschäftlich von seinem abgelegenen Inselreich auf den Hauptkontinent Olondria. Auf der Überfahrt lernt er ein todkrankes junges Mädchen kennen und wird wenig später von deren Geist verfolgt. Er flieht vor der Heimsuchung, macht Bekanntschaft mit einem Totenkult und dem politischen Untergrund von Olondria und wird findet schließlich einen ungewöhnlichen Weg der Aussöhnung mit der Toten, in dessen Verlauf er und sie gesunden können.

*Wie* es erzählt ist, das ist das eigentlich atemberaubende an diesem -- die Vokabel können wir nun guten Gewissens auch noch verbraten -- Meisterwerk. Da ist zunächst die lebendige Welt, die in abertausenden Alltagsdetails zum Leben erweckt wird, in Riten, Festen, Kochrezepten, Liedern, Mythen, Gesetzen, Liebesdingen und medizinischem Spezialwissen. Samatar ähnelt darin tatsächlich LeGuin, dass sie diese unglaubliche Vielfalt nicht selbstzweckhaft oder als Sagenreferat in den Text kippt, sondern in kleinste Alltäglichkeiten einfließen lässt.

Es entsteht ein anthropologisches Kaleidoskop, das aber jederzeit auf die Figuren und ihre Geschichte bezogen bleibt. Und zum zweiten ist da die Sprache, die sich unsagbar wohltuend vom Einheitsbrei der epischen Fantasy abhebt, ohne jemals eitel, gekünstelt oder aufgbläht zu wirken. Samatar zieht vom Derben bis zum Halluzinatorischen, vom Reisebericht bis zum Kindheitstagebuch, von der Hochliteratur einer fremden Welt bis zum Kneipenschwank alle Register (und das ist wohl mit dem Wolfe-Vergleich gemeint). Sie serviert ihrem Publikum ein Romanmenü, bei dem ich mich immer wieder zum Innehalten zwingen musste, um die exotischen und doch so wohlschmeckenden Sätze, Absätze, Seiten langsam und bewusst zu genießen.

Kein Buch für eilige und nur auf Krachbumm orientierte Leser, sondern ein Leseschatz, wie es ihn nur ganz selten gibt, unbedingt und nachdrücklich zu empfehlen! Und ein Buch, das ganz nebenbei vorführt, dass Fantasy keineswegs, wie so immer noch oft behauptet, bloße Fluchtliteratur ist, sondern gerade durch die Hinwendung zu einer anderen Welt das genaue Hinsehen, das Befragen, das Erinnern und das einfühlende Verstehen des Fremden fördern kann.

Sofia Samatar, A Stranger in Olondria, Small Beer Press, in englischer Sprache

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